Kusine Lea
Lea hatte immer nette Begleiter. Die fuhren sie durch die Gegend mit ihren schnellen Cabriolets, sie halfen ihr in den Mantel, gaben Feuer, trugen ihre Tasche, hielten ihr die Tür und bückten sich nach ihrem Handschuh, noch bevor sie ihn verlor. Die andern, die sie nicht begleiten wollten, waren nicht so nett. Und jene, die sie nicht mehr begleiten wollten, waren es noch weniger. Einige wurden ihr am dritten oder vierten Abend allzu nett, und das fand Lea gar nicht nett, denn Nettigkeit ist absichtslos. Lea fand immer neue nette Begleiter.
Auch ich war nett mit ihr, blieb nett und wurde nie allzu nett. Schon in der Schule ernannte sie mich zu ihrem nettesten Begleiter. Sie sass in der Schulbank links vor mir und verdrehte mir den Kopf, schon am ersten Tag. Mein Hals blieb schief. Ich ging schief, ich schaute schief, ich dachte schief: immer an Leas schmalen Nacken mit dem zarten Flaum, an Leas blonden Pferdeschwanz, der nachts durch meine Träume baumelte.
Willst du mein Freund sein, fragte Lea.
Ja! sagte ich.
So wie Cousins und Kusinen, ein Leben lang.
Das K von Kusinen blieb mir im schiefen Halse stecken.
Ja, sagte ich und wurde ihr Lieblingsbegleiter.
Ich begleitete Kusine Lea ins Kino, fuhr sie zu später Stunde nach Haus, sass auf ihrem Sofa bis in frühe Morgenstunden, stand ihr auch beim Cointreau-Kater bei und lauschte ihrem ausgedehnten Liebeskummer. Ich strich ihre Wohnung, half ihr beim Umzug, fuhr sie zum Bahnhof und stellte keine Fragen, wenn sie in das Cabriolet eines neuen Begleiters stieg.
Das war nett von mir. Und es war auch nett, als ich mich mit galanter, absichtsloser Nettigkeit nach ihrem Handschuh bückte in den Schnee. Doch als der Handschuh dann ins Rutschen kam, gab's kein Zurück, denn nette Gesten werden zu Ende geführt. Meine Nettigkeit führte mich an mein Ende. Kann Kusine Lea etwas dafür, dass ich zwar ein netter, aber schlechter Skifahrer war und vor dem Abgrund die Kontrolle verlor?
Meine Leiche wurde tags darauf unter den Felswänden geborgen. Ob man den Handschuh auch gefunden hat, weiss ich nicht. Als ich beerdigt wurde, trug Kusine Lea schwarze Handschuhe. Und alle, alle waren ganz besonders nett mit ihr.
(unpubliziert)
Liebesgeschichte
Ich war einmal eine Sardine.
Ich war einmal eine Sardine, die träumte.
Ich war einmal eine Sardine, die träumte, sie sei ein Haifisch. Da kam ein Barrakuda, der träumte, er sei eine Sardine. Als ich den Barrakuda sah, schwamm ich, der Haifisch, dem Barrakuda hinterher und wollte ihn verschlingen. Der Barrakuda glaubte sich von einer Artgenossin umworben, schwamm neckisch davon und zog ein paar Kreise. Als ich, der Haifisch, mich in seinen Flossen festbiss, erwachte der Barrakuda.
Eine Sardine? Ich muss wohl träumen.
Ein Haifisch! rief ich, die Sardine, und träumte zu erwachen. Und ehe wir’s uns versahen, hingen wir beide im Fischernetz.
Da haben wir die Bescherung! schrie der Barrakuda und knirschte zornig mit den Zähnen. - Warum hast du mich aufgehalten?
Selber schuld, du Blödhai, wieso hast du dich von einer kleinen Sardine neppen lassen? stichelte ich, die Sardine.
Wenn ich gewusst hätte, dass du nur ein kleiner Stöpsel bist, hätt’ ich dich längst gefressen! Der Barrakuda riss wutschäumend seinen zahnigen Rachen auf. - Du wirst mich noch kennen lernen!
Zum Kennenlernen bleibt uns leider keine Zeit, sprach ich, die Sardine, und schlüpfte durchs Netz. Aus dem Barrakuda aber wurde Katzenfutter.
Er ist zu früh erwacht, murmelte ich, die Sardine.
Ich war einmal eine Sardine, die träumte.
Ich war einmal eine Sardine, die träumte, sie sei eine Katze.
(unpubliziert)